Schottland 2019 – Tag 10 – John O‘ Groats – 317km

Wir wachen bei blauem Himmel auf, aber es ist wieder merklich kühler geworden. Nach dem Frühstück verräumen wir nicht gleich alle Sachen wieder in den Koffern was eine Möwe freut die sich unsere Packung Brioche schnappt und mit ein paar Krähen teilen muss. Irgendwie kommen wir wenn sich das packen mal eingespielt hat immer um 10:15 Uhr los. Egal ob wir uns beeilen oder trödeln.

Erstmal verlassen wir heute die Küste um eine Schleife ins Landesinnere zu fahren. Die Straßen heute sind wieder von der Kategorie single track road with passing places. Wenn also viel Verkehr ist dann ist das ein ständiges stop and go. Gott sei dank ist heute nicht viel Verkehr. Was super funktioniert ist dass man von langsameren Fahrzeugen vorbeigelassen wird. Nach relativ kurzer Fahrt sehe ich einen Wegweiser zu einem Leuchtturm. Der liegt zwar nicht auf der geplanten Route, aber was soll es. Wir biegen also ab und fahren die Stichstraße bis ans Ende der Landzunge. Eine kurze Runde mit dem Foto und dann geht es wieder weiter.

Die Strecke heute ist der Hammer. Es ist wie Achterbahn fahren, also so eine alte Holzachterbahn. Es geht rauf, runter, links und rechts bis einem schwindelig wird. Lediglich Loopings und Pirouetten fehlen. Die Landschaft ist unbeeindruckend beeindruckend. Komische Formulierung, aber genau das geht in mir vor. Norwegen war superlativer. Die Küstenlinien dort sind extremer. Andere Länder sind vielseitiger. Wir haben hier ein Luxusproblem. Wir haben schon ein bisschen was von der Welt gesehen und wenn man das hat dann fängt man an zu vergleichen. Wir sind z.B. an Wasserfällen vorbeigefahren da hätte ich vor 2 Jahren eine Stunde angehalten um zu fotografieren. Nach unserem Island Trip denke ich aber nur noch: „Och wie niedlich ein Wasserfällchen“. Man darf das jetzt nicht falsch verstehen. Es ist hier beeindrucken und schön, ich fühle mich wohl, aber die richtig großen WOW Effekte bleiben bei mir einfach aus.

Wir wechseln von der kleinen Single Track Road auf eine größere gut ausgebaute Straße und können mal etwas an Fahrt aufnehmen. Für ca. 50km fühlt es sich an wie dahinfliegen bevor es wieder auf eine Single Track Road geht.
Auf schmalen Straße fährt ein Slowakisches Auto vor uns. Die Fahrerin hat einen super „Flow“ drauf und ich lass mich mitziehen. Wir haben keinen Gegenverkehr und es sind auch keine langsameren Fahrzeuge vor uns. Kurz habe ich mal den Gedanken dass ich fast ein wenig dicht auffahre und dann passiert es… Ein Schaf läuft vor dem Auto auf die Straße, die Fahrerin steigt voll in die Eisen, ich hau die Anker in die Bremscheiben aber bin zu nahe dran an dem Auto. Ich touchiere die linke hintere Ecke des alten Toyotas und schon liege ich auf dem Boden, den rechten Fuß unter dem Motorrad.

Prio 1: Fuß rausziehen – Prio 2: Checken ob alles an mir ok is – Prio 3: Anja mitteilen dass alles ok ist. Und ja, es ist alles okay! Wir heben erstmal Elli auf und bewegen alle Fahrzeuge zum nächsten passing place damit wir kein Hindernis sind. Die Fahrerin des slowakischen Toyota spricht perfekt Englisch und macht sich eigentlich nur Sorgen darum ob es mir gut geht. Ich mache mir inzwischen mehr Sorgen um die Bürokratie – Deutsches Motorrad trifft auf slowakisches Auto in Schottland – das wird kein Spass. Die junge Dame erklärt uns dann aber dass Ihr Auto eh rundrum verdellt ist und die Stoßstange vorher schon total im Eimer war und eigentlich nur wichtig ist dass es allen gut geht. Wir können unser Glück garnicht fassen. Nachdem wir ihr nochmals versichert haben dass es mir gut geht fährt sie weiter.
Jetzt ist es Zeit Elli nochmal durchzuchecken – Blinker vorne rechts ist ab, Stürzbügel hat getan was er soll ist verkratzt, Verkleidung hat neue Kratzer und der rechte Alukoffer ist an einer Schweißnaht ein Stück gerissen. Alles verschmerzbar. Ich selbst werde am linken Knie einen Bluterguss bekommen aber das war es. Wir schnaufen nochmal durch und fahren weiter. Das ganze aber einen Gang langsamer und mit viel mehr Sicherheitsabstand zu anderen Fahrzeugen.

Den Rest des Tages bekomme ich den Kopf nicht mehr so richtig frei. Das fahren macht mir kein Problem, aber ich nehme die Landschaft um mich herum nicht so wirklich war. Wir sind an der nördlichen Küste entlang unterwegs. Es geht viel ebener dahin und wir kommen relativ gut voran. Das Tagesziel John O‘ Groats („Trostlosester Ort des Jahres 2010“) ist absolut machbar wir müssen nicht an einem früheren Campingplatz stoppen was wir schon befürchtet hatten. Was mir noch in den Sinn kommt ist dass wir an diesem Tag immer wieder weiße Strände – wie in der Karibik – gesehen haben. Allerdings halt bei 15 Grad Außentemperatur. Da kommt jetzt nicht so das Bedürfnis auf Baden zu gehen 😉

Kurz vorm Tagesziel fängt es dann an zu Nieseln – war ja auch ab 17 Uhr gemeldet. Wir stoppen noch an einem Coop und kaufen ein. Statt Brioche gibt es jetzt Croissants. An der Tankstelle fällt mir noch auf dass die Halterung meines SW-Motech Tankrucksacks auch einen Treffer abbekommen hat bei dem Sturz, dieser wird ab morgen zusätzlich durch einen Spanngurt gesichert.
Am Campingplatz in John O’Groats freue ich mich über die gerade durchbrechende Sonne und teile das dem Besitzer gleich freudig mit. Er lächelt mich milde an und setzt mich in Kenntniss dass das Wetter heute „very changeable“ ist. Dass ich mich zu früh gefreut habe erfahren wir dann beim Zeltaufbau. Es fängt an zu regnen und wir kommen gerade noch vor dem richtigen Duscher ins Zelt. Gut, das lag auch ein wenig an dem ausgedehnten Schwätzchen mit Peter und Simone die uns am Eingang noch ein wenig aufgehalten hatten. Die beiden sind uns auf der Tour immer mal wieder begegnet. Nachdem wir die Regenphase im Zelt ausgesessen hatten wanderten wir zum Seaview Hotel um Abend zu essen. Das große Fenster des Gastraumes geht genau in die dem Meer abgewandte Richtung – soviel zum Thema Seaview.
Wir probierten nochmal Haggis, diesmal etwas traditioneller mit mashed potatoes und einer Soße, für Anja gab es noch geräucherten Lachs mit Gemüse und für mich einen Burger mit den obligatorischen Chips. Mit der Hoffnung dass wir das Zelt morgen früh im trockenen abbauen können sind wir dann erschöpft eingeschlafen.